Delegierten-Versammlung, Delémont, 2020

Liebe Freundinnen und Freunde

Heute wären wir im schönen Delémont zur Delegiertenversammlung der AVIVO Schweiz zusammen gekommen.  Ich hätte bei diesem Anlass zweifellos auch einmal das Wort ergriffen und meiner Wut und Sorge Ausdruck gegeben.

Wie heisst es so schön in der Präambel unserer Bundesverfassung?

Das Schweizervolk und die Kantone,  […] gewiss, dass […] die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung.“

Das Wohl der Schwachen? Wer sind zurzeit die Schwachen? Ich orte sie in den Langzeitpflegeheimen, in den Gefängnissen, Asylzentren, ohne Obdach auf der Strasse, Sans-Papiers. Es sind die Behinderten, hochbetagten Kranken, Armen, Staatenlosen, Strafgefangenen, Langzeitarbeitslosen.

Es ist eine Schande, wie diese Schwachen zurzeit behandelt werden. Wenn die Stärke des Volkes sich zum Beispiel tatsächlich am Wohle der hochbetagten und kranken Bewohnerinnen und Bewohner von Langzeitpflegeheimen misst, dann ist es mit dieser Stärke nicht sehr weit her. Unsere Verwandten Bekannten und Freunde wurden während Wochen entmündigt, isoliert, allein gelassen in ihren zu kleinen Zimmer, vielfach sogar noch ohne Balkon.

Ja klar, ich weiss, ich weiss. Die Heime stehen unter Spardruck, es herrscht Personalmangel, es herrscht Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Es ist nicht böser Wille des überforderten Personals, das zu diesen skandalösen Zuständen führt. Die Mängel des aktuellen Systems treten genau in solchen Krisensituationen am deutlichsten zutage. Und die Krise trifft wie immer und überall die Schwächsten zuerst und am heftigsten.

Jedenfalls hat mich das, was ich im Heim jetzt beobachte, darin bestärkt, dass es eine starke AVIVO als Verteidigerin der Grundwerte der Gesellschaft und der Rechte der Betagten weiterhin dringend braucht.

Mit freundlichen Grüssen

Martin